Titel: Davor und Danach
Autor/in: Nicky Singer
Verlag: Dressler
Seitenanzahl: 384
Kaufpreis: 19, 99 EUR
Erscheinungsdatum: 21. Januar 2019
Zum Buch
Was zählt, wenn die Welt am Abgrund steht? Verändern Klimawandel und Flucht unsere Menschlichkeit? Die 14-jährige Mhairi lebt in einer Welt, in der es zu viele Menschen gibt und Wasser nur noch im Norden zu finden ist. Sie besitzt zwei Dinge: einen Revolver und ihre Papiere. Ihr einziges Ziel ist es, zu überleben. Dank ihrer Papiere wird es Mhairi bis in den Norden schaffen. Hoffentlich. Doch dann trifft sie kurz vor dem Grenzpunkt einem kleinen Jungen. Ist sie bereit, alles für ihn zu riskieren?
Charaktere
Mhairi ist eine 14-Jährige Überlebende, die ohne ihre Eltern die Wüste durchqueren muss, um an einen sicheren Ort zu gelangen. Schon im Davor, also vor dem drastischen Klimawandel und der Überbevölkerung, als die Welt noch anders war, hat sich Mhairi in ihrer Denkweise und ihrer kompletten Art von Anderen unterschieden. Auf mich wirkt sie traumatisiert von den schrecklichen Erfahrungen, die sie im Danach gemacht hat, und obwohl sie sehr stark ist, und ihr beeindruckender Wille deutlich hervorsticht, ist es für mich sehr eindeutig, dass sie deutlich härter von dem Grauen getroffen ist, dass sie durchmachen musste. Zum Bewahren ihres Traumas hat sie eine gedankliche Festung geschafft, in der sie alles Unangenehme, an dass sie nicht denken will, einsperrt. Diese Festung wird sehr bildlich beschrieben, und ihre Erwähnung ist am Anfang sehr verwirrend. „Die Welt ist schön, Papa“ ist ein Mantra, das sie ständig wiederholt. Meiner Vermutung nach redet sie sich verzweifelt ein, dass die Welt, trotz allem was ihr widerfahren ist immer noch so ist, wie ihr Vater sie ihr beschrieben hat, obwohl sie das ganz anders fühlt. Doch trotz ihres sehr ausgeprägtem Überlebensinstinkt bringt sie dennoch genug Güte auf, den namenlosen Jungen aufzunehmen.
Der namenlose Junge, der später von Mhairi als Mo bezeichnet wird, ist 6 Jahre alt und war mit (vermutlich) seinem Großvater unterwegs, als er Mhairi begegnete. Sein Großvater starb, und Mo hätte auch nicht überlebt, wäre er nicht so klug und beharrlich, wie er nun mal ist. Für sein Alter ist er meiner Ansicht nach sehr intelligent, obwohl einige Leute der Meinung sein könnten, er sei zurückgeblieben oder schwer von Begriff, da er nicht reden kann, bzw. will. Er lernt schnell und folgt Mhairis Anweisungen meist ohne zu zögern, was ihm zu einem sachdienlichen Begleiter macht. Er baut sehr schnell eine emotionale Bindung zu Mhairi auf, noch bevor sie das tut. Im Laufe des Buches werden die Beiden füreinander wie Geschwister. Der 6-Jährige erwiest sich als eines der mutigsten Kinder, über die ich je gelesen habe. Er ist mir sehr ans Herz gewachsen.
Die treffendste Bezeichnung für Singers Schreibstil wäre vermutlich „außergewöhnlich“. Die Geschichte wurde aus der Sicht der Ich-Erzählerin Mhairi geschrieben und lädt in ihre tiefsten Gedanken ein. Die Protagonistin ist sehr nachdenklich und macht sich Gedanken über die verschiedensten philosophischen Anliegen, auf eine Art, die dich selbst zum Denken anregt und dir Gänsehaut bereitet. Zu Anfang sind die Kapitel sehr kurz, was bestens auf die Geschichte abgestimmt ist. Stilistisch auffällig waren die häufigen Aufzählungen, die den Fließtext unterbrachen und perfekt zu Mhairis Besonderheit passten, nämlich ihrem (nur teilweise!) mangelnden Verständnis von Gefühlen und ihren sachlichen Beobachtungen, die ihr Überleben sicherten. Anfangs war ich von ihren Gedankengängen verwirrt, besonders von ihrer Festung, da ihre Sätze teilweise mittendrin endeten. Doch je weiter ich blätterte, desto mehr verstand ich die Zusammenhänge.
Nicky Singer, 1956 geboren, arbeitete in Verlagen, in der Kunstförderung und beim Fernsehen. Sie war Mitbegründerin und stellvertretende Leiterin eines Vereins zur Förderung junger Autoren für Theater, Oper und Film. Nachdem sie zuvor schon für Erwachsene geschrieben hat, veröffentlichte sie ihren ersten Jugendroman: ‚Feather Boy‘, dt. unter dem Titel ‚Norbert Nobody‘. Das Buch wurde in England mit dem Blue Peter Book Award 2002 sowie dem Bronze Children’s Award ausgezeichnet und war für den Angus Book Award nominiert. Die Verfilmung erhielt 2004 von der British Film and Television Association (BAFTA) den Big Banana Award. Die Autorin lebt mit ihrem Mann, ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter in Brighton.
Fazit
Davor und Danach ist anders als jedes Buch, das ich zuvor gelesen habe, und hat mich, so kitschig das auch klingt, tief berührt. Die Geschichte von Mhairi und dem namenlosen Jungen wirkte auf mich erschreckend kurz, und besonders nach einem so schockierenden und tragischen Finale wie diesem, unvollendet. Psychologisch gesehen finde ich die Protagonistin unheimlich interessant, besonders nachdem ich verstanden habe, dass die Festung, die so oft erwähnt wurde, nur mental existiert. Meine erste Vermutung war, dass es sich um eine Art andere Realität handelte, bei der so eine Festung tatsächlich vorhanden ist, doch diese Version finde ich um einiges spannender. Die Festung ist einer der wenigen Hinweise, dass Mhairi überhaupt traumatisiert war, da sie eher als gescheite und anpassungsfähige Person dargestellt wurde. Die Charaktere sind sehr ansprechend und sind mir auf eine Weise unter die Haut gegangen, die ich nicht beschreiben kann. Diese nachdenkliche und philosophische Richtung, die das Buch eigeschlagen hat, packt einen auf eine ungewöhnliche Art, und fesselt einen an die Geschichte!